Gen des Monats Mai: FMR1
Der für das Fragile-X-Syndrom (FraX) ursächliche Defekt des FMR1-Gens lässt sich möglicherweise mit Hilfe zelleigener Mechanismen zur DNA-Reparatur korrigieren. Dies beschreiben Wissenschaftler*innen im Fachmagazin Cell. FraX ist eine neurologische Entwicklungsstörung und eine der häufigsten Ursachen für genetisch bedingte geistige Behinderung bei männlichen Individuen. Es wird hervorgerufen durch eine angeborene vielfache Wiederholung einer aus drei Basen bestehenden DNA-Sequenz (CGG) im 5‘-Bereich des FMR1-Gens auf dem X-Chromosom. Während in der Allgemeinbevölkerung dieses CGG-Triplett im FMR1-Gen durchschnittlich in 30 Wiederholungen vorhanden ist, tragen von FraX Betroffene eine Verlängerung auf über 200 Tripletts. An dieser Expansion kommt es zur Anlagerung von Methylgruppen an die DNA, die das Ablesen des Gens verhindern. FMR1 ist dann also stumm geschaltet und sein Produkt, das fragile X messenger ribonucleoprotein (FMRP), wird nicht mehr gebildet. FMRP spielt eine wichtige Rolle in der Gehirnentwicklung und reguliert u.a. die Translation von Synapsenproteinen.
In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen an Patientenzellen, unter welchen Bedingungen sich FMR1 wieder aktivieren lässt. Dabei stellten sie fest, dass in Zellen, die mit Substanzen behandelt wurden, welche die Kinaseproteine MEK und BRAF hemmen, die Expansion erheblich verkürzt und die FMR1-Genaktivität vollständig wiederhergestellt wurde. Sie führen dies darauf zurück, dass die DNA demethyliert wird und sich an spezifischen Stellen so genannte R-Loops bilden, also Schleifen aus DNA und RNA. Eine positive Rückkopplung aus Demethylierung, erneuter FMR1-Transkription und R-Loop-Bildung aktiviert demnach zelleigene Mechanismen zur DNA-Reparatur, die dann die CGG-Triplett-Verlängerung beseitigen. Dies erfolgte in den Zellexperimenten spezifisch für FMR1. Die Studie beschreibt damit den Ansatzpunkt für eine mögliche künftige Behandlung des Fragilen-X-Syndroms.
Lee HG, Imaichi S, Kraeutler E, Aguilar R, Lee YW, Sheridan SD, Lee JT. Site-specific R-loops induce CGG repeat contraction and fragile X gene reactivation. Cell. 2023 May 16:S0092-8674(23)00469-5. doi: 10.1016/j.cell.2023.04.035. Epub ahead of print.